Vernehmlassung Humanforschung
    zu Verfassungsartikel und Gesetzesentwurf (Humanforschungsgesetz HFG)
    -> siehe Grundlagen
     

    1. Grundsätzliches zum Verfassungsartikel und zum HFG

    Allgemeine Einschätzung

    Wir begrüssen das Anliegen, die Rechtssituation in der Schweiz in Bezug auf Forschungsprojekte, die mit Menschen arbeiten, zu vereinheitlichen. Ebenso begrüssen wir, dass dem Bund dabei mehr Kompetenzen zukommen sollen als bisher. Nach eingehendem Studium sowohl des Verfassungsartikel-Entwurfs als auch der dazugehörigen Erläuterungen sind wir jedoch zur Überzeugung gelangt, dass diese in der vorgeschlagenen Form unter keinen Umständen in Kraft treten dürfen.

    Fassungslos stehen wir vor der Tatsache, dass das Bundesamt für Gesundheit offensichtlich die Menschenrechte und die Menschenwürde auf die gleiche Stufe stellt wie die Forschungsfreiheit! Die Menschenwürde wird so behandelt, als ob sie ein in Widerspruch zu andern Rechten tretendes Gut wäre, bei dem man mit Güterabwägung zu einem für alle Interessen tragbaren Kompromiss gelangen könne. Die im Verfassungsartikel-Entwurf vertretene und im Entwurf für ein HFG wieder erscheinende Auffassung widerspricht 
     

    • der schweizerischen Bundesverfassung, Artikel 7 (Menschenwürde als Grundrecht), Artikel 10 (Recht auf Leben, persönliche Freiheit und Unversehrtheit);
    • Artikel 7 des Internationalen Pakts vom 16. Dez. 1966 über bürgerliche und politische Rechte.    Dort steht: „Insbesondere darf niemand ohne seine freiwillige Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterworfen werden“;
    • der Helsinki-Deklaration von 1994 (schliesst Zwangsforschung aus);
    • dem Übereinkommen des Europarates über Menschenrechte und Biomedizin vom April 1997, und
    • der Vereinbarung zur Biomedizin der UNESCO von 2005


    Unsere Organisation wird deshalb alles in ihrer Macht stehende tun, den vorliegenden Verfassungsartikel sowie den dazugehörigen Gesetzesentwurf politisch zu bekämpfen. 

    Im Folgenden nun unsere Kritik im Einzelnen:
     

    Verräterische Formulierungen

    Absatz 1 des vorgeschlagenen Artikels 118a lautet: Der Bund erlässt Vorschriften über die Forschung am Menschen im Gesundheitsbereich. Er sorgt dabei unter Beachtung der Forschungsfreiheit für den Schutz der Menschenwürde und der Persönlichkeit. (Hervorhebungen durch das KSM)

    Die Beachtung der Forschungsfreiheit gehört nicht in diesen ersten Absatz. Der Zweck des Verfassungsartikels muss der Schutz der Menschenwürde und der Persönlichkeit sein. Steht die Forschungsfreiheit wie in obiger Formulierung im ersten Absatz, dann können wir dies nur so verstehen, dass das BAG eigentlich ein Forschungsförderungsgesetz machen wollte, möglichst unter Umgehung schon bestehender Menschenrechtsverträge. Die Forschungsfreiheit ist jedoch bereits durch Artikel 20 „Wissenschaftsfreiheit“ in der Bundesverfassung verankert.

    In Absatz 2 Buchstabe c steht: Niemand darf zur Teilnahme an einem Forschungsprojekt gezwungen werden. Vorbehalten bleiben Forschungsprojekte mit urteilsunfähigen Personen, die eine Verbesserung ihrer Gesundheit erwarten lassen. (Hervorhebungen durch das KSM)

    Vom Prinzip, dass niemand dazu gezwungen werden darf, an einem Forschungsprojekt teilzunehmen, darf nicht abgerückt werden, denn das bedeutete eine Zulassung der Verletzung der Menschenwürde. Kann jemand nicht einwilligen (weil er dazu zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage ist), dann dürfen keine Forschungen, sondern höchstens ethisch geprüfte Heilversuche oder Therapien zugunsten der Patientin bzw. des Patienten durchgeführt werden. Die Menschenwürde des betroffenen Menschen ist in jedem Fall höher zu gewichten als das Interesse einer Forschungsgruppe, zu Daten zu kommen!
    Wenn wir uns die Erläuterungen zum geplanten Verfassungsartikel 118a anschauen, wird klar, dass unser Verdacht, das BAG wolle die Freiheit der Forschung mit der Menschenwürde gleichstellen, begründet ist, Zitat:
    „Der Bund darf somit nur soweit Vorschriften über die Forschung am Menschen im Gesundheitsbereich erlassen, als er dabei die Forschungsfreiheit achtet, d.h. nicht unzulässig einschränkt.“ Diese Formulierung zeigt, dass die Autor/inn/en des Entwurfs der Auffassung sind, die Forschungsfreiheit sei gleich wichtig wie die Menschenwürde. Ganz so, als ob die Menschenwürde der Forschungsfreiheit gefährlich werden könnte!

    Hierzu möchten wir festhalten, dass der Respekt vor dem Menschen und der Schutz der Menschenwürde immer absolute Priorität haben muss und selber im Laufe der Geschichte wiederholt ausserordentlich in Gefahr war und noch ist!!

    Niemand bestreitet, dass in der Vergangenheit kirchliche oder andere Dogmen der Wissenschaftsfreiheit philosophisch und politisch nicht haltbare Grenzen gesetzt haben. Hier liegt aber ein völlig anderer Fall vor: Die Achtung der Menschenwürde bedeutet nicht, dass Denkverbote gesetzt werden. Sie bedeutet bloss, dass niemand gezwungen werden darf, an Forschungsexperimenten teilzunehmen. Die Qualität der Forschungsergebnisse im Hinblick auf die Verbesserung der Gesundheit der Menschen hängt nicht davon ab, ob es erlaubt ist, Menschen gegen ihren Willen zu Forschungsobjekten zu machen, da schätzt das BAG die Bedeutung der Forschung offensichtlich völlig falsch ein. Aber selbst wenn es so wäre, dass Ergebnisse aus Zwangsforschungen für gewisse Menschen sehr nützlich wären: Für einen solchen Gewinn ist es niemals erlaubt, die Menschenwürde zu verletzen!
     

    Vergleich mit internationalen Übereinkommen, insbesondere mit der „Biomedizin-Konvention“ des Europarates

    Auf Seite 27-30 der Erläuterungen zum geplanten Verfassungsartikel 118a ziehen die Autor/inn/en den Vergleich mit der EMRK und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 (UNO-Pakt II). Unserer Ansicht nach ist die Einschätzung des BAG, der vorliegende Verfassungsentwurf stimme sowohl mit der EMRK als auch mit dem UNO-Pakt II überein, falsch. Denn Zwangsversuche sind im vorgeschlagenen Art. 118a gerade nicht vollständig ausgeschlossen! Nur falls der entsprechende Absatz gestrichen wird, kann von einer Übereinstimmung gesprochen werden. Auch zur „Biomedizin-Konvention“ des Europarates gibt es Unterschiede, wie im erläuternden Bericht richtigerweise festgehalten ist. 

    Das Komitee zum Schutz der Menschenwürde war 1996 federführend in der Kritik an der Biomedizin-Konvention des Europarates (damals noch Bioethik-Konvention genannt), u.a., weil „fremdnützige“ Forschung an Einwilligungsunfähigen erlaubt werden sollte. Nun stehen wir vor der paradoxen Situation, dass das inzwischen leicht nachgebesserte Werk des Europarates (am 7.Mai 1999 von der Schweiz unterzeichnet) eine bessere Grundlage zum Schutz verletzbarer Menschen darstellt als der vorgeschlagene Verfassungsartikel der Schweizer Behörden!!

    Auch wenn wir die Biomedizin-Konvention nach wie vor kritisieren, müssen wir doch festhalten, dass sie in einem entscheidenden Punkt weniger schlimm ist als der Verfassungsartikel 118a. Denn: In der Biomedizin-Konvention ist nicht vorgesehen, dass mit urteilsunfähigen (=einwilligungsunfähigen) Menschen geforscht werden darf, wenn diese sich dagegen wehren. Hingegen sieht das BAG im Absatz 2 Buchstabe c des Verfassungsentwurfs ausdrücklich vor, dass das Gesetz Forschung mit urteilsunfähigen Personen auch gegen ihren Willen erlauben kann, wenn davon ein direkter Nutzen für die Gesundheit dieser Personen erwartet wird.

    Das ist ein Skandal.

    Wir möchten deutlich hervorheben: Die Forschung ist für den Menschen da und nicht umgekehrt!

    Was heisst „wenn ein Nutzen für die Gesundheit dieser Person erwartet wird“? Falls es sich um echte Forschung handelt, dann ist es ebensogut möglich, dass die Person gesundheitliche Schäden aus dem Zwangsversuch davonträgt, wie Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit beweisen!  Wüsste man schon um die neutrale oder positive Wirkung des Eingriffs, müsste man ja keine Forschung mehr machen. Wir sind definitiv der Auffassung, dass bei Einwilligungsunfähigen, wenn noch keine etablierte Therapie zur Verfügung steht, nur ethisch geprüfte Heilversuche, aber keine Forschungsprojekte, zulässig sind.

    Vielleicht wollten die Bundesbehörden provozieren? Vielleicht geht es darum, die Biomedizin-Konvention elegant durchzubringen unter „Androhung“ eines noch viel schlimmeren schweizerischen Verfassungsartikels?
    Wie dem auch sei: Falls die Schweiz die Biomedizin-Konvention des Europarates ratifizieren will, kann sie sich einen solchen Verfassungsartikel mit der Zulassung von Zwangsforschung an Einwilligungsunfähigen schlicht nicht leisten.
     

    2. Anregungen für eine Überarbeitung von Verfassungsartikel und Gesetz

    Grundsätzlich sind wir der Auffassung, dass der vorgelegte Entwurf zurückgenommen werden sollte. Ein Neuanfang würde der Sache am besten dienen.
    Allerdings möchten wir nicht darauf verzichten, für einen Neuanfang oder auch für eine allfällige Überarbeitung von Verfassungsartikel und Gesetz, konstruktive Vorschläge zu machen.

    Begriffsklärungen

    1. Personenbegriff
    Wir möchten anregen, klarer zu definieren, was unter Person verstanden wird. Da es philosophische Schulen gibt, die nur dann den Begriff Person verwenden, falls der gemeinte Mensch über bestimmte Eigenschaften verfügt (zum Beispiel Rationalität), scheint uns diese Klarstellung nötig. Eine Möglichkeit wäre, allen juristisch „Person“ genannten Menschen „Mensch“ zu sagen. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, alle Menschen als Personen zu bezeichnen mit Ausnahme der sich im Mutterleib entwickelnden Embryonen und Föten. Letztere würden immer separat aufgelistet.
    Alle besonders verletzbaren Menschengruppen (also diejenigen, für die besondere Schutzmassnahmen erforderlich sind bzw. bei deren Teilnahme an Forschungsprojekten höhere Anforderungen erfüllt sein müssen) müssten aufgezählt sein. Die im Entwurf gemachten Erläuterungen reichen nicht aus.

    2. Urteilsunfähige; Forschung ohne direkten Nutzen
    Wir schlagen vor, dass die international verwendeten Begriffe „Einwilligungsunfähige“ und „fremdnützige Forschung“ benützt werden.

    3. Hirntote
    Wir haben bereits bei der Vernehmlassung zum Transplantationsgesetz darauf hingewiesen, dass wir hirntote Menschen nicht als Tote, sondern als Sterbende auffassen. An hirntoten Menschen darf nicht mehr Forschung erlaubt werden als an andern Sterbenden. Weil nicht beweisbar ist, dass Hirntote nichts mehr empfinden können, dürfen sie nicht anders behandelt werden als andere Sterbende.

    4. Forschungsdefinition
    Die Autor/inn/en des Verfassungsartikel-Entwurfs und diejenigen des Entwurfs für das Humanforschungsgesetz definieren Forschung unklar. Dies müsste verbessert werden. Auch die Anforderungen an psychosoziale Forschung müssen explizit formuliert werden. Es gibt widersprüchliche Stellen innerhalb des Entwurfs sowie Widersprüche zum geltenden Heilmittelgesetz.
    Sehr wichtig ist uns auch die Abgrenzung zum Heilversuch. Wann gilt eine medizinische Handlung als Heilversuch, wann als Forschungsexperiment?
     

    Änderungsanträge Verfassungsartikel 118a

    Wir verweisen auf die Änderungsanträge unserer Mitgliedorganisation „Basler Appell gegen Gentechnologie“, welche wir voll und ganz unterstützen. 

    Antrag Art. 118a Abs. 1: 
    1 Der Bund erlässt Vorschriften über die Forschung am Menschen im Gesundheitsbereich. Er sorgt dabei für den Schutz der Menschenwürde und der Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen. 

    Antrag Art. 118a Abs. 2 Bst. a 1.:
    1. eine freiwillige informierte Einwilligung nach umfassender Aufklärung vorliegt.

    Antrag Art. 118a Abs. 2 Bst. a 2.: 
    2. eine unabhängige, interdisziplinäre Überprüfung ergeben hat, dass der Schutz der teilnehmenden Personen gewährleistet ist, das Forschungsprojekt den vorgeschriebenen Qualitätskriterien entspricht, die ethische Vertretbarkeit der Forschung gewährleistet ist, Massnahmen zur Sicherheit getroffen wurden sowie die Haftungsfragen geklärt sind.

    Antrag Art. 118a Abs. 2 Bst. b:
    b. Forschung an urteilsunfähigen Personen darf nur durchgeführt werden, wenn erhöhte Anforderungen an ihren Schutz erfüllt sind. Die Risiken und Belastungen für eine urteilsunfähige Person dürfen höchstens minimal sein. Eine fremdnützige Forschung ist nicht zulässig. 

    Bei der Ausgestaltung von Art. 118a Abs. 2 Bst. c ist darauf zu achten, dass Zwangsforschung ausnahmslos ausgeschlossen bleibt. Es ist mit der Unverletzlichkeit der Person und der Menschenwürde nicht vereinbar, einen Menschen zur Teilnahme an einem Forschungsprojekt zu zwingen.

    In allen Vereinbarungen und Erlassen ist die Willenskundgebung der betroffenen Person zu beachten. Diese Willensbekundung kann verbal oder durch andere Reaktionen erfolgen. Eine Ablehnung ist in jedem Fall zu beachten. 
    Auch die nationale Gesetzgebung sieht einen Zwang zur Teilnahme an einem Forschungsprojekt bisher nicht vor. Bei der Diskussion um diesen Passus ist herauszustellen, dass es sich bei dem vorliegenden Gesetz um Forschung handelt. Diagnose, Therapie und Behandlung fällt nicht unter das Humanforschungsgesetz; der Verweis auf einen zu erwartenden Vorteil für die Gesundheit des oder der Betroffenen ist obsolet. Eine Erwartung würde in keinem Fall die Verletzung eines hohen Rechtsgutes rechtfertigen können. 

    Änderungsanträge zum Humanforschungsgesetz HFG

    Antrag Art. 1:
    Wir unterstützen die Stellungnahme der Schweizerischen Patienten- und Versichertenorganisation SPO. Sie verlangt, dass die Persönlichkeitsrechte und die Menschenwürde auch bei Heilversuchen und Humanexperimenten geschützt werden und deshalb ins Gesetz einbezogen werden müssen.

    Die Anträge des Basler Appells gegen Gentechnologie zum HFG werden auch vom Komitee zum Schutz der Menschenwürde unterstützt. Besonders hervorheben möchten wir den Antrag zu den Ethikkommissionen:

    Antrag Art. 68 Abs. 1:
    1 Ethikkommissionen werden schwerpunktmässig mit Vertreter/-innen aus den Bereichen Ethik und anderen Geisteswissenschaften besetzt. Des weiteren sind Sachverständige aus dem Gesundheitsbereich sowie Vertreter/innen des Rechtes zu berücksichtigen. Der Anteil von Frauen beträgt mindestens 50 Prozent.
     

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